DANCE 2004

Die Geschichte des DANCE-Festivals: Zur Ausgabe Nr. 9
DANCE 2004 – Allianzen – Differenzen

 

Dance 2004Bei „Allianzen – Differenzen“ machte Kuratorin Cornelia Albrecht das verbindende Moment stark, denn sie baute die Kooperationen weiter aus, speziell mit der Tanzszene im kanadischen Québec. Der Fokus lag diesmal auf der Tanzmetropole Montréal.

Festival-Motti arbeiten rhetorisch gerne mit Allgemeinbegriffen, unter die sich allerlei subsummieren und mit denen sich an vieles anknüpfen lässt. Bei „Allianzen – Differenzen“ machte Kuratorin Cornelia Albrecht das verbindende Moment stark, denn sie baute die Kooperationen weiter aus, speziell mit der Tanzszene im kanadischen Québec. Der Fokus lag diesmal auf der Tanzmetropole Montréal: „Joe“ (1984), ein Kultstück und Klassiker des 2002 verstorbenen Jean-Pierre Perreault wurde von seiner Kompanie wieder aufgenommen, Danièle Desnoyers – ehemals Tänzerin bei Perreault – präsentierte als Choreographin zusammen mit der Sounddesignerin und drei Tänzerinnen mit elektronischem Equipment am Bein fein austarierte Konstellationen von Bewegung, Sound und Raum, und Dave St. Pierre, der Aufsehen erregende Newcomer aus Montréal, experimentierte in „Bare Naked Souls“ mit ungeschützten Körpern, mit Blut und nackter Haut, mit Sex und Gewalt, und nahm dabei die Reaktionen des Publikums mit hinein in das Spiel. Die kanadische Ikone Louise Lecavalier hatte mit dem Choreographen Tedd Robinson das Quartet „Cobalt“ erarbeitet, konnte aber krankheitsbedingt in München nicht tanzen.
Eröffnet wurde das Festival mit einem sinnlichen Abend des finnischen Tänzers und Choreographen Tero Saarinen, der neben dem Männertrio „Westward Ho!“ und dem Pas de deux „Wavelength“ als Solist mit Projektionen der Multimediakünstlerin Marita Liulia seine Version des „Sacre“ zeigte, „Hunt“. Ebenfalls im Carl-Orff-Saal des Gasteig präsentierte die Akram Khan Company ein indisches Märchen mit virtuosen Körperbildern – den Text zu „ma“ schrieb Drehbuchautor und Romancier Hanif Kureishi –– und erntete Standing Ovations. In eine andere Märchenwelt führte das „H. C. Anderson Project – Tales and Costumes“ des Amsterdamers Michael Laub und seinen TänzerInnen von Remote Control, eine Collage, die witzig und abgründig Lebensmuster dekonstruiert: „Family entertainment for adults only“, wie Laub formulierte. Das Publikum herauszufordern nahmen sich zwei Performances aus Frankreich vor: Das Solo des multidisziplinären Künstlers Christian Rizzo „Autant vouloir le bleu du ciel et m’en aller sur un âne“ entfaltete zu tosendem Sound aus Electronics und Industrielärm eine rätselhafte Metamorphose wechselnder Bilder. Und die performative Installation von Juliette Nioche „Fin Novembre“ widmete sich den physischen, psychischen und sozialen Deformationen des Körpers.
 
Die Batsheva Dance Company aus Tel Aviv hatte Cornelia Albrecht schon 1998 zu DANCE eingeladen, nun zeigte Ohad Naharin als Deutschlandpremiere seine neuestes Stück „Mamootot“, eine auf essentielle Bewegungen reduzierte, spannungsreiche Choreographie im Bühnenfeld zwischen dem auf allen vier Seiten platzierten Publikum, wie stets mit höchster Energie getanzt. Nach langer Zeit erstmals wieder in München zu sehen war die Michael Clark Company, zwanzig Jahre nach ihrer Gründung. Der einstige Bad Boy und Punk der Londoner Ballettszene präsentierte mit „Oh My Goddess“ vielschichtige und ironische Tanzsequenzen zwischen einer Pop-Collage und Saties „Préludes“, in einem ausgefeilten Lichtdesign von Charles Atlas. Der Videokünstler und Tanzdokumentarist war unter den 170 am Festival teilnehmenden KünstlerInnen dreimal präsent, nämlich noch mit seiner Film-„Dokufantasy“ über Michael Clark in der Galerie Rüdiger Schöttle sowie mit der Video-Bühnengestaltung beim Solo „Glimpse“ des Spaniers Cesc Gelabert. Der spanische Tänzer und Choreograph wiederum tanzte auch als Solist in der Uraufführung von Heiner Müllers „Traumtext“ durch die Münchner Komponistin Helga Pogatschar, einer interaktiven Tanzoper, wo Gelaberts Bewegungen, inmitten des Chors und der Instrumentalisten, mit einer Sensorik in elektronische Klänge übersetzt wurden. Multimedial und interaktiv angelegt war ebenfalls „turned“ von der japanischen Tänzerin Kazue Ikeda und dem Münchner Medienkünstler Chris Ziegler: In diesem elektroakustischen Konzert wurden die Bilder des tanzenden Körpers gesampelt und dekonstruiert, und die Performance fügte sich zuletzt zu einer 3-D-Installation. Der britische Improvisationstänzer Julyen Hamilton und der österreichische Stimmkünstler brachten mit dem Autor Wolf Wondratschek Gedichte aus dessen Band „Chucks Zimmer“ auf die Bühne. Helena Waldmann zeigte ein Try-out von „Letters from Tentland“ – einem Stück über Lebensentwürfe von Frauen im Iran, das danach weltweit erfolgreich tourte – und war damit Teil des Projekts „Utopia Station“ im Haus der Kunst, wie auch das hochkarätige Symposium mit WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen. Eine ebenso prominent besetzte Fachtagung zum Thema Tanzausbildung (dokumentiert 2006 in dem Buch „Tanz [Aus] Bildung“, epodium Verlag) zählte zu den Extras sowie auch eine Ausstellung von Studierenden der TU mit Entwürfen für ein Tanzhaus, denn ein solches – wie erfolgreiche Einrichtungen in Frankreich, Hamburg, Düsseldorf etc. belegen – fehlt in München seit den 1980er Jahren.
 
Kontinuitäten: Das Hans Hof Ensemble präsentierte sich wieder in der Schauburg, mit einem Stück von und mit Andreas Denk über einen Mann, der die Orientierung verliert und dem die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten. Pipon illuminierte wieder die Kuppel des Hauptzollamts. Mit dem Bayerischen Staatsballett wurde erneut in einem Labor eine Produktion erarbeitet, diesmal von dem Frankfurter Antony Rizzi, der auch eine Ausstellung in den Kunstarkaden zeigte; um die zu ermöglichen, hatte Cornelia Albrecht dort ihr Büro eingerichtet.

2004, neunte Edition des Internationalen Festivals des zeitgenössischen Tanzes der Landeshauptstadt München
Veranstalter: Kulturreferat der LH München, Kulturreferentin: Prof. Dr. Dr. Lydia Hartl, Leiter des Fachbereichs Darstellende Kunst: Werner Schmitz, Ansprechpartnerin: Dr. Daniela Rippl
Mitveranstalter: Spielmotor München e. V. in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Staatsschauspiel, dem Bayerischen Staatsballett, i-camp / Neues Theater München, Schauburg / Theater der Jugend
Festivalpartner: Regierung von Québec, Conseil des Arts et des Lettres du Québec, Botschaft von Kanada in Berlin, Finnish Cultural Foundation, The British Council, Instituto Cervantes, Association Française d’Action Artistique, Institut Français, Haus der Kunst, Dutch Dance and Drama @ De Projekt, Mousonturm Frankfurt, Berufsverband Bildender Künstler (BBK), Goethe-Institut
Künstlerische Leitung: Cornelia Albrecht
Spielorte: Gasteig (Carl-Orff-Saal), Prinzregententheater, Muffathalle, i-camp / Neues Theater München, Haus der Kunst und Theater im Haus der Kunst, Schauburg / Theater der Jugend, Galerie der Künstler (BBK), Galerie Rüdiger Schöttle, Probebühne des ITW
Zeitraum: 26. Oktober bis 7. November 2004

Begleitprogramm: „TANZ.RAUM“, Ausstellung von Entwürfen für ein Tanzhaus von Studierenden der TU; Symposium „TRANS-DIS-TANZ“ im Haus der Kunst; Fachtagung „Tanz [Aus] Bildung“ in der Probebühne des Instituts für Theaterwissenschaft der LMU; Film „Hail the New Puritain“ von Charles Atlas in der Galerie Rüdiger Schöttle; Ausstellung „Eye see you“ von Antony Rizzi in den Kunstarkaden

Von Thomas Betz
 

 

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