Ich habe das Publikum in München sehr vermisst

Foto: Bea Borgers

Choreograf Trajal Harrell im Interview über sein Stück M2M und seine Verbindung zu München

Nach zwei Uraufführungen an den Kammerspielen und zwei Einladungen zum DANCE Festival bist du zu einem äußerst beliebten und geschätzten Künstler in München geworden. Dieses Jahr kehrst du nach über sechs Jahren zurück. Was ist deine persönliche Verbindung zu München? Welche Erinnerungen hast du, und wie fühlt es sich an, dieses Jahr zurückzukehren?

München war für mich die erste Stadt, in der mein Werk als Repertoire aufgeführt wurde und ich so eine besondere Beziehung zum Publikum aufbauen konnte. Das ist etwas, das mit der Zeit wächst – ein Gefühl der Zugehörigkeit oder vielmehr das Gefühl, dass die Arbeit ein Zuhause hat. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich das Publikum nach der Aufführung von Juliet & Romeo begrüßt habe. Es war für viele neu, dass der Performer am Ende dort stand und „Hallo“ sagte. Für mich war es eine wunderbare Art, die Zuschauer*innen kennenzulernen. Das war genauso ein Teil des Werks wie das, was auf der Bühne geschah.

M2M ist eine maßgeschneiderte Version einer Werkreihe mit dem Titel Twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church. Worin unterscheidet sich M2M von den anderen Arbeiten dieser Serie? Was macht es besonders?

In den anderen Werken der Serie geht jemand aus der Voguing-Tanztradition nach Downtown, um in der Judson Church aufzutreten. In M2M drehen wir dieses Konzept um: Jemand aus dem Judson Church Dance Theater geht Uptown, um bei den Bällen in Harlem zu performen. Tatsächlich ist M2M nicht der eigentliche Name des Stücks – es ist der Spitzname. Der vollständige Titel lautet Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church (M2M). Da es sich um die maßgeschneiderte (made-to-measure) Version handelt, versuchen wir, es an den jeweiligen Aufführungsort anzupassen.

In M2M erschaffst du ein imaginäres historisches Ereignis, in dem die Tänzer der Judson Church in die Harlem-Ballroom-Szene eintauchen. Woher kam diese Idee? Gab es ein bestimmtes Anliegen bei der Erschaffung dieses imaginären Moments?

Ich habe damals viel über die Geschichte des postmodernen Tanzes nachgedacht und versucht, mich von meinem eigenen Konzeptualismus zu lösen. Als ich dann auf Runway-Bewegungen und die Voguing-Tanztradition stieß, erkannte ich eine Art theoretischen Übergang – eine Möglichkeit, die Geschichte des postmodernen Tanzes neu zu betrachten und vielleicht einen Teil der Tanzgeschichte, der bisher übersehen wurde, neu zu beleuchten. Es war eine Art, sich vorzustellen, was hätte sein können – oder auch nicht –, aber v.a. was wir gemeinsam mit dem Publikum im Moment des Theaters erleben können.

Die Uraufführung von M2M fand vor 13 Jahren statt, aber du und deine Tänzer habt das Stück immer wieder aufgeführt. Wie hat sich das Stück über die Jahre verändert? Hat sich die Art und Weise, wie ihr es performt, gewandelt?

Die Art der Aufführung hat sich nicht verändert. Wir kennen das Stück heute einfach besser, und mit den Jahren an Erfahrung ist die Performance in ihrer Tiefe gewachsen.

Die Uraufführung von M2M fand im MoMA PS1 in New York statt, bei DANCE wird es im Kunstbau des Lenbachhauses gezeigt. Ihr habt das Stück aber auch in verschiedenen Theaterhäusern aufgeführt. Inwiefern unterscheidet sich eine Performance in einem Museum von einer im Theater?

Da es sich um die maßgeschneiderte Version handelt, versuchen wir immer, den jeweiligen Ort spezifisch einzubeziehen. Deshalb gibt es so viele Unterschiede zwischen den Museumserfahrungen, genauso wie zwischen Museums- und Theateraufführungen oder sogar zwischen verschiedenen Theaterorten. Es gibt Unterschiede in der Größe der Räume, in der Konfiguration des Publikums. Wir versuchen, das Stück für jeden Ort maßzuschneidern.

Gibt es etwas, worauf du dich besonders freust, wenn du in München / beim DANCE Festival bist?

Ich liebe das Publikum in München. Wir freuen uns sehr, zurückzukommen, aber hoffentlich wird unsere Verbindung nicht wieder so lange unterbrochen. Ich finde, die Pause war dieses Mal zu lang. Ich habe das Publikum dort wirklich sehr vermisst.

Interview: Peter Sampel

Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Look or Paris is Burning at the Judson Church (M2M) wird präsentiert vom DANCE Festival München in Kooperation mit dem Lenbachhaus.

Trajal Harrell erlangte internationalen Ruhm, indem er Voguing mit frühem postmodernem Tanz vereinte. Seine Arbeit erforscht den Körper als Gefäß für Erinnerung, Geschichte und transkulturelle Referenzen. Sie wurde bei großen Festivals und in Museen weltweit präsentiert. 2023 wurde er eingeladen, eine Arbeit für das Festival d'Avignon zu kreieren, und erhielt 2024 den Silbernen Löwen bei der Biennale Danza.

Credits Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church (M2M):

Koproduktion von: Danspace Project für Platform 2012: Judson@50, MoMA PS1 (New York); Tanz im August, HAU Hebbel am Ufer (Berlin).

Residenzförderung durch: Danspace Project und Impulstanz Vienna International Dance Festival (Wien).

Der Auftrag für Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) / Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church (M2M) wurde ermöglicht durch den Wallis Annenberg Fund for Innovation in Contemporary Art des MoMA über die Annenberg Foundation sowie durch die 2012–2013 Commissioning Initiative des Danspace Project, die maßgeblich von der Andrew W. Mellon Foundation unterstützt wird.

Uraufführung: 11. Oktober 2012 – Danspace Project, New York