Fase, Step by Step
Fase, Step by Step
Zwischen 1980 und 1982 schuf die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich. Über vierzig Jahre später bleibt dieses Werk ein bedeutendes Stück im Repertoire ihrer Kompanie Rosas.
Kürzlich besuchte ich eine Ausstellung im Rahmen des Festivals Body of Work – Unfolding Fase im STUK (Leuven, BE), das sich um Fase drehte. Unter den verschiedenen Rezensionen, Notizbüchern, Film- und Audiomaterialien gab es eine Projektion, die alle Orte zeigte, an denen Fase aufgeführt wurde. Diese endlose Liste war beeindruckend. Seit 1982 wurde das Werk etwa 500 Mal aufgeführt und hat unzählige Rezensionen und Artikel hervorgebracht. Angesichts der bereits umfassenden Berichterstattung könnte man sich fragen: „Was gibt es noch zu sagen?“
Aber wie De Keersmaeker sagte: „Live performance is perhaps the most vital necessity for keeping repertory alive.“ Choreografien sind nicht so einfach am Leben zu erhalten wie materielle Kunstformen. Aufgrund ihrer Unfassbarkeit und Vergänglichkeit benötigen sie Wiederholung, um nicht in den Tiefen verblassender Erinnerungen zu verschwinden. Auch wenn es nicht immer gewollt oder möglich ist, so erfordert die Entscheidung, ein Stück im verkörperten Gedächtnis der Tänzer*innen und im kollektiven Gedächtnis des Publikums zu bewahren, bei jeder Wiederholung Investition und Anstrengung. Vielleicht ist es genau diese Anstrengung, die Tänzer*innen in das Repertoire stecken, die Festivals und Theater aufbringen, um diesen Werken Sichtbarkeit zu verleihen, die auch das Schreiben über Fase erfordert. Es ist eine weitere Äußerung, eine weitere Schicht in der Schrift des zeitgenössischen Tanz-Erbes.
Jede*r, der*die mit De Keersmaeker gearbeitet hat, wird sie den Ausdruck „step by step“ hören sagen – ein Motto, wenn man so will. Nach einem Gespräch über die Entstehung und die Wirkung von Fase, ein Werk, das ihr nach wie vor sehr am Herzen liegt, macht es nur Sinn, ihrem Leitprinzip zu folgen und Schritt für Schritt vorzugehen.
Wir beginnen dort, wo die junge De Keersmaeker mit Ballett an der Schule ihrer Mutter in einem Dorf nahe Brüssel anfing. Ein paar Schritte weiter trat sie in Mudra ein, die Schule von Maurice Béjart. „At the time, the center of Brussels was empty,“ erinnert sie sich, doch trotzdem bildete sich ein anregendes kulturelles Umfeld um sie herum. Es gab einen Kreis gleichgesinnter, politisch engagierter Freund*innen mit Musikgeschmack von Klassik bis Punk, mit Vorlieben für Filmemacher*innen wie Chantal Akerman und Rainer Werner Fassbinder. Es gab neue Möglichkeiten, Aufführungen internationaler Choreograf*innen wie Lucinda Childs, Meredith Monk und Pina Bausch mit Kontakthof zu sehen. Ebenso gab es Terpsichore in Sneakers, Sally Banes' Anthologie von 1980 zur Erforschung des postmodernen Tanzes, die einen erheblichen Einfluss hatte.
Es ist wichtig, De Keersmaekers frühes Umfeld nachzuzeichnen, denn, wie sie sagt: „Around a choreographer is often a team of individuals who play a fundamental role in the invention of language and development of repertory – in the studio, behind the scenes and on stage. It is a combination of the individual and the group.“
Hugo De Greef war ein wesentlicher Teil dieser Gruppe. Zwischen 1978 und 1984 arbeitete er für Schaamte, ein Non-Profit-Projekt, das viele Künstler*innen durch Mentoring unterstützte und Wege für ihre Arbeit ebnete. Für Schaamte war die Dringlichkeit, Kunst zu entwickeln und zu präsentieren, wichtiger als finanzielle Mittel. „...an environment where, as an artist, you had the opportunity to take and use your freedom, even though there were [zero] government grants,“ sagt De Greef. Schaamte unterstützte bereits De Keersmaekers erstes Werk Asch (1980), das im schulischen Kontext entstand. Voller Neugier und inspiriert von Steve Reichs Violin Phase, das ihr Freund Thierry De Mey ihr vorgestellt hatte, sagte De Keersmaeker zu De Greef: „I’m going to go to New York. There’s a dance I want to make, it’s Violin Phase.“
Die 20-Jährige ging an die Tisch School of the Arts der NYU, wo sie u. a. Philosophie, die Geschichte der amerikanischen Avantgarde sowie Play and Performance bei Richard Schechner studierte. Ihre Briefe nach Hause enthielten Beschreibungen von Rollschuhtänzer*innen am Washington Square, Abende auf Broadway-Shows und, vor allem, jede freie Minute mit Choreografieren. Violin Phase wurde innerhalb des kreativen Umfelds von NYU geboren, wo Studierende ihre Ideen ausprobieren und präsentieren konnten. „There were student performances you could sign up for without selection, and other students who studied lighting design, for example, would collaborate.“
1981 wurde Violin Phase beim The Early Years Festival (SUNY) uraufgeführt. Nach einem Sommer in Belgien kehrte De Keersmaeker nach NYU zurück, um den zweiten Satz von Fase – Come Out – in Zusammenarbeit mit Jennifer Everhard zu entwickeln. Inzwischen war das Konzept, vier Bewegungen zu Reichs Musik zu schreiben, voll ausgereift, und De Greef war mit an Bord.
Während sich die Großstadtumgebung als förderlich für die Entwicklung dieser Choreografin erwies, gab es viele Einschränkungen. „After one hour in the studio, someone would be knocking at the door, so you had to go“, erinnert sich De Keersmaeker. „So I’d book a studio to work in the evening, go see a show, then return to the studio until midnight.“ Sie lernte, mit Einschränkungen umzugehen, und dieser Teil des Prozesses hatte sofort Einfluss auf die Choreografie. Zum Beispiel entstanden die Stühle in Come Out, weil sie in ihrer Küche arbeitete. Es ist das klassische Bild der findigen Künstlerin, die hart arbeitet, um eine Idee umzusetzen – egal unter welchen Bedingungen. Findig genug, um sogar Reichs Musik aufnehmen zu lassen. Piano Phase und Clapping Music (die beiden Stücke, die sie später in Brüssel umsetzen würde) waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgenommen worden und existierten nur als Noten. Nachdem sie ihn nicht erreichen konnte, gelang es De Keersmaeker, einen seiner Musiker ausfindig zu machen, der (mit Reichs Erlaubnis) zustimmte, die Musik erstmals aufzunehmen.
Zurück in Brüssel, mit Violin Phase und Come Out im Gepäck, schuf De Keersmaeker die letzten beiden Bewegungen, Piano Phase und Clapping Music, mit ihrer Freundin und Kollegin Michèle Anne De Mey. Am 18. März 1982 wurde das vollständige Werk in der Beursschouwburg in Brüssel uraufgeführt. Zwei eher unbekannte junge Frauen betraten die Bühne mit einer Aufführung, die sowohl intellektuell als auch physisch war, mutig in ihrer repetitiven Hartnäckigkeit. „Here with Fase, suddenly there was something intense. Theirry, the friend who first introduced me to the music of Reich and worked as our Outside Eye, used the image of women throwing their bodies against a wall of structure.“ Es war ein sofortiger Erfolg. De Greef organisierte mit seiner Plattform Schaamte umgehend eine internationale Tournee.
„You have to remember,“ erklärt De Keersmaeker, „it was the 80s. It was punk. There was Nina Hagen. It was the year I first saw Set and Reset of Trisha Brown, the time of Reagan when we were protesting for disarmament, and of Margaret Thatcher. 1982 was the year of the Falklands conflict and also the massacres at the Sabra and Shatila refugee camps for displaced Palestinians.“ „So the times were hot?“, frage ich. „Yes… but not as hot as today“, antwortet sie mit ernster Gewissheit.
Der Einfluss von Fase auf das europäische zeitgenössische Tanz-Erbe ist unbestreitbar, aber es hatte auch eine persönliche Wirkung auf De Keersmaeker und legte den Grundstein für ihre choreografischen Methoden. „With Fase, I literally went step by step“ – ihr Arbeitsmotto bis heute. „The first step was simply finding music that made me want to dance, and Reich’s was an invitation.“ Als Nächstes musste sie eine Methode entwickeln, um ein tänzerisches Vokabular zu generieren und es in Struktur mit der Musik zu bringen. „With Reich’s ‘music as a process’ approach, there is something intellectually challenging.“ Dies führte zur Suche nach einer choreografischen Antwort. Der dritte Schritt bestand darin, den Vorhang zu schließen und sich von ihrer klassischen Ballettausbildung hin zu einer stärkeren inneren Empfindung zu bewegen. Die einfache Geste, den Vorhang zu schließen, war eine Möglichkeit, nahe an der Erfahrung der Bewegung zu bleiben, die Freude am Tanzen zu bewahren und eins mit der Musik zu sein.
Mit Anpassungen im Laufe der Jahre sind diese Schritte in ihrem gesamten Werk konstant geblieben: 1) aus einer Inspirationsquelle schöpfen – sei es Musik, Text oder visuelle Kunst, 2) eine choreografische Antwort darauf finden, 3) der Freude am Tanzen treu bleiben.
Bemerkenswert ist, wie De Keersmaekers Schritt-für-Schritt-Ansatz gleichermaßen intuitiv wie intellektuell erscheint. Ungeachtet von Versuch und Irrtum – ein essenzieller Bestandteil kreativer Prozesse – gab es seit der Entstehung von Fase, als sie erst 20 Jahre alt war, immer eine starke Intuition, der es sich lohnte zu folgen.
Der Einfluss von Fase geht über die Choreografin hinaus, die es hervorgebracht hat. Bis heute wurde Fase von 11 Tänzer*innen über drei Generationen hinweg interpretiert, und mit jeder Weitergabe entwickelt sich das Verständnis dafür, was es bedeutet, ein Repertoire aufzuführen. Dieses essenzielle Werk ist zu einem Raum geworden, in dem die vielschichtige Verkörperung von Erinnerung aktiv erforscht werden kann – eine Fallstudie zur Weitergabe verkörperten Wissens. Darüber hinaus wirkt ein Stück wie Fase auf die verkörperten Erinnerungen der Zuschauenden ein. Bei jeder Aufführung begegnet ein neues Publikum dem Werk, während andere es bereits vor Jahren gesehen haben und es nun im 21. Jahrhundert erneut erleben. Ihre Wahrnehmung des Stücks wird sich mit der Zeit verändern, so wie sich die Welt um sie herum verändert hat. Solche Erfahrungen unterstreichen die Bedeutung des Repertoires.
In den Worten von De Keersmaeker: „It’s simultaneously looking at the past, being in the present and constructing the future. In order to understand the present and imagine the future, we need to look back to the past… what is a more contemporary art form than dance? What is more present than the body you live in every day? Dance is about the here and now, just as with the body, which carries all our memories and experiences.“
Von Tessa Hall
Fase – Four Movements to the Music of Steve Reich wird präsentiert vom International DANCE Festival München in Kooperation mit dem Münchner Volkstheater.
Anne Teresa De Keersmaeker (geb. 1960), studierte an der Mudra School und Tisch School. 1980 kreierte sie ihre erste Arbeit. Asch. 1983 gründete sie Rosas und kreierte Rosas danst Rosas. Ihre Choreografien erforschen die Beziehung von Tanz und Musik unter Einbeziehung von Geometrie, Zahlen und sozialen Strukturen. 1995 gründete sie P.A.R.T.S.
Credits:
This production is realized with the support of the Tax Shelter of the Belgian Federal Government, in collaboration with Casa Kafka Pictures.
Rosas is supported by the Flemish Community and by the Flemish Community Commission (VGC).