Agniete Lisičkinaitė: "Hands Up" - © Dainius Putinas

Agniete Lisičkinaitė: "Hands Up" - © Dainius Putinas

Dovydas Strimaitis: "Hairy 3.0" - © Nora Houguenade

Dovydas Strimaitis: "Hairy 3.0" - © Nora Houguenade

Dovydas Strimaitis: "The Art of Making Dances" - © Dmitrij Matvejev

Dovydas Strimaitis: "The Art of Making Dances" - © Dmitrij Matvejev

Lukas Karvelis: "THEO" - © Donatas Alisauskas

Lukas Karvelis: "THEO" - © Donatas Alisauskas

Magazin #2: 3 Fragen an 3 Choreograf*innen

Agnietė Lisičkinaitė, Lukas Karvelis und Dovydas Strimaitis über ihre Arbeit als Teil einer jungen litauischen Künstler*innengeneration

von Peter Sampel
 

3 Fragen an Agniete Lisičkinaitė

Liebe Agniete, bitte beschreibe dein Stück Hands Up in wenigen Worten.
Tatsächlich brauche ich sechs Worte: „Es ist alles in unseren Händen!“

In Hands Up verwebst du einen öffentlichen Protest mit einer Tanzperformance. Was war die Idee hinter dieser Kombination und inwiefern siehst du den Tanz als einen Protestakt?
Ich begann mit der Recherche über Protestkultur – alleine im Studio – und bemerkte nach einer gewissen Zeit, dass mir der Kern des Protestierens fehlte: auf der Straße mit anderen Menschen zu sein. Aus diesem Grund gestaltete ich mein allererstes Poster (HILFE/GEH WEG) und ging spazieren. Ich mochte sehr, wie die Leute auf mich reagierten, wie verwirrt sie durch mich waren. Durch dieses Gefühl angeleitet entschied ich mich, diese Imitation eines Live-Protests zu nutzen und das Gefühl mit dem Publikum zu teilen. Außerdem gibt dieser Teil von Hands Up dem Publikum die Chance, körperlich zu erspüren, wie schwierig es ist, für die eigenen Überzeugungen einzustehen und die Hände zu erheben, während man protestiert. Ich würde es keinen „richtigen Protest“ nennen, lieber eine „künstlerische Aktion“ oder einen „sehr ehrlichen, aber nicht echten Protest.“

Was ist in deinen Augen der wertvollste Beitrag, den junge Choreograf*innen aus Litauen für die zeitgenössische Tanzszene leisten?
Nicht Angst davor zu haben, Fehler zu machen, und zu verstehen, dass es keine gute oder schlechte Art gibt, Kunst zu machen.

 

3 Fragen an Lukas Karvelis

Lieber Lukas, bitte beschreibe dein Stück THEO in drei Worten.
Vergänglich, nostalgisch, voyeuristisch.

Du wirst THEO an verschiedenen Stationen des Münchner öffentlichen Nahverkehrs als künstlerische Intervention zeigen. Was war die Idee dahinter, THEO im öffentlichen Raum zu präsentieren und wie beeinflussen die äußeren Umstände deine Performance?
Haltestellen der öffentlichen Verkehrsmittel sind essentiell für unseren Alltag. Ich nenne sie auch „Check-in“- und „Check-out*-Orte. Die Haltestellen markieren die gesamte Welt. An diesen kleinen Orten passiert immer etwas. Viele Geschichten verschmelzen miteinander, wenn auch nur für einen Moment, einen Augenblick, sei es nur ein Augenkontakt, der nicht länger als eine Sekunde dauert. Während ich über lange Zeit die Haltestellen beobachtete, merkte ich, dass genau diese Orte unsere Gesellschaft widerspiegeln. Es wird viel gewartet, gesucht, sich beeilt, beobachtet. Öffentliche Haltestellen laden alle unter ihre Dächer ein, sie urteilen nicht, sie sollen dein vorübergehendes Zuhause werden. Mit meiner Performance THEO wollte ich mich von der Sicherheit des Theaters und der Bühne entfernen. Die Schönheit liegt in der Zeitlichkeit des Ortes, an dem die Performance stattfindet. Der Charakter THEO wird von diesen Umgebungen geformt, weshalb jede Performance ihren eigenen Pfad und ihre eigene Energie hat.

Was ist in deinen Augen der wertvollste Beitrag, den junge Choreograf*innen aus Litauen für die zeitgenössische Tanzszene leisten? Ich glaube, dass die junge litauische Tänzer*innen-Generation besonders gut darin ist, autonome und selbsttragende Communities zu formen, die einen Schwerpunkt auf gegenseitige Unterstützung und Fürsorge legen.

 

3 Fragen an Dovydas Strimaitis

Lieber Dovydas, bitte beschreibe deine Stücke Hairy 3.0 und The Art of Making Dances in jeweils drei Worten. Hairy 3.0 – ein Tanzstück.
The Art of Making Dances – ein weiteres Tanzstück.

In Hairy 3.0 und The Art of Making Dances arbeitest du mit Wiederholungen und allmählichen Abweichungen. Was waren deine konzeptionellen Ideen hinter dieser künstlerischen Forschung und in welcher Art und Weise hast du sie in deine künstlerische Arbeit eingebaut?
Der Kern eines Objekts offenbart sich uns nur durch die Zeit. In meiner Arbeit erachte ich Zeit als notwendig, um eine Entdeckung zu machen. Allerdings will ich dem Publikum den gesamten Forschungsprozess sichtbar machen, nicht nur die Ergebnisse. Tanz, Kunst oder irgendetwas Anderes von Wert wird durch Wiederholungen und allmähliche Abweichungen von der „Norm“ kreiert. Diese Werkzeuge mögen minimalistisch wirken, aber tatsächlich gehören sie zum Alltag aller Handwerker*innen. 

Was ist in deinen Augen der wertvollste Beitrag, den junge Choreograf*innen aus Litauen für die zeitgenössische Tanzszene leisten? Die junge Generation litauischer Künstler*innen ist befreit genug, um frei zu denken und zu schaffen, hat aber gleichzeitig noch nicht zu lange in einem liberalen und demokratischen Umfeld gelebt, um das Gefühl für die grausame Realität außerhalb der aufpolierten westlichen Bubble zu verlieren. Wir stellen immer noch Fragen anstatt Antworten zu beanspruchen. Selbst unsere politischsten Arbeiten hinterfragen ihre eigene Haltung. Wir schätzen Freiheit viel mehr wert als unsere Kolleg*innen im Westen, haben dahingehend aber auch Vertrauensprobleme. Und auch wenn das als Nachteil im Kunstschaffen erscheinen mag, erlaubt es uns, Arbeiten zu kreieren, die mehr sind als nur oberflächliche Statements einer (politischen) Haltung.